Was kommt nach der Nullzinspolitik?
Seit der Finanzkrise 2007/08 hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen kontinuierlich gesenkt, im März 2016 auf 0%. Die Nullzinspolitik ist unter Ökonom/innen umstritten. Inzwischen mehren sich Stimmen in Wirtschaft und Politik, die eine Rückkehr zur geldpolitischen Normalität fordern. Doch was kommt nach der Nullzinspolitik?
Überschreitet die EZB ihre Kompetenzen?
An der Nullzinspolitik ist vor allem Eines umstritten: ob die EZB auf diese Weise eine aktive Konjunkturpolitik betreiben darf oder nicht. Die Befürworter/innen argumentieren: Wenn Unternehmen günstige Kredite erhalten, dann können diese mehr investieren und Arbeitsplätze schaffen. Kritiker/innen halten dagegen, dass es nicht Aufgabe der EZB sei, die Wirtschaft anzukurbeln, dafür seien die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten zuständig (Ministerrat und Kommission). Diese verlassen sich bislang einfach auf die EZB und deren Politik des billigen Geldes, anstatt sich selbst um eine progressive Wirtschafts- und Fiskalpolitik zu bemühen.
Folgen für die Sparer/innen
Die Nullzinspolitik betrifft in erster Linie die Ersparnisse, für die es derzeit so gut wie keine Zinsen mehr gibt. Darüber hinaus führen viele Banken Gebühren ein oder erhöhen diese und bitten auf diese Weise die Sparer/innen zusätzlich zur Kasse. Die Banken stehen infolge der anhaltenden Nullzinspolitik unter Ertragsdruck, weil die Spanne zwischen Kredit- und Einlagenzinsen abgeschmolzen ist. Monetaristisch eingestellte Ökonomen wittern außerdem Inflationsgefahren, sollten die Leitzinsen der EZB dauerhaft bei 0% verharren, was Sparer/innen zusätzlich verunsichert.
Die Nullzinspolitik hat den Volkswirtschaften der EU-Mitgliedsländer nach den Turbolenzen der Finanzkrise 2007/08 eine Low-Profit-Phase beschert und damit eine Verschnaufpause gegönnt. Doch ist die Politik des billigen Geldes zukunftsfähig? Sind nicht die Regierungen gefordert, eine Wirtschafts- und Fiskalpolitik zu betreiben, die denselben Zweck wie die Nullzinspolitik erfüllt, ohne deren Nachteile in Kauf zu nehmen?
Staatliche Regulierung mit Steuern und Subventionen
In den USA wurde bereits eine vorsichtige Abkehr von der Nullzinspolitik eingeleitet. Doch welche Folgen hat dies für die Konjunktur, wenn das Kapital und damit die Finanzierung von Investitionen sich wieder verteuert? Wenn die Zinsen steigen, dann hat der Staat (Regierung) die Möglichkeit, fiskalpolitisch gegenzusteuern. So könnte der Staat z. B. bestimmte, nachhaltige Investitionen, Unternehmen und Branchen fördern und auf diese Weise für ein günstiges Investitionsklima sorgen. Das Ende der Nullzinspolitik verlangt demnach eine ganz neue Politik staatlicher Regulierung mit Steuern und Subventionen.
Instrumente
Zwei Instrumente scheinen besonders geeignet, um die Wirtschaft günstig mit Kapital zu versorgen. Das erste Instrument ist eine spezielle Vermögensteuer auf Tages- und Festgelder, Staatsanleihen und andere sichere Geldanlagen. Eine solche Vermögensteuer könnte EU-weit eingeführt werden und die bisherigen nationalen Zinsertragsteuern ablösen. Wenn sichere Geldanlagen höher besteuert werden, dann sind Investor/innen eher bereit, sich an Unternehmen zu beteiligen und diesen günstig Eigenkapital zur Verfügung zu stellen. So bewirkt z. B. eine Vermögensteuer von 3% auf sichere Geldanlagen, dass Investor/innen auch bei realen, risikobehafteten Anlagen (Aktien, Anteile einer GmbH, Immobilien usw.) ihr Renditeerwartungen um 3% reduzieren. Ein großzügiger Freibetrag von z. B. 100 000 € schont die Kleinsparer/innen, so dass eine solche Vermögensteuer auch sozial verträglich wäre.
Das zweite Instrument sind zinsfreie und zinsgünstige Förderkredite für privaten Haushalte und Unternehmen. Dieses Förderinstrument ist seit Jahrzehnten erprobt und hat sich immer wieder bewährt. Förderkredite ermöglichen eine günstige Fremdfinanzierung und zwar unabhängig vom Leitzins der EZB. Die Vergabe der Förderkredite ist an strenge soziale und ökologische Nachhaltigkeitskriterien zu knüpfen, so dass hiervon ein Impuls zur Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele ausgeht (Sustainable Development Goals).
Fazit
Anstelle der EZB könnten künftig die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten (Regierungen) für ein gutes Investitionsklima sorgen, und dies ganz unabhängig vom Leitzins der Zentralbank. Die Regierungen haben zwei Instrumente zur Hand, damit Unternehmen günstig Kapital für Investitionen erhalten: Eine spezielle Vermögensteuer auf sichere Geldanlagen erleichtert Unternehmen den Zugang zu Eigenkapital und zinsgünstige Förderkredite ermöglichen eine günstige Fremdfinanzierung. Unternehmen gewinnen auf diese Weise finanziellen Spielraum für langfristige und nachhaltige Low-Profit-Investitionen.